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//Dort oben ist er... Ich muss ihn runterholen. Wenn er weg ist, bekomme ich Ärger.// Unsicher, wie er das anstellen sollte, ging der kleine Robert auf den Kastanienbaum zu, zwischen dessen Ästen sein Ball hängen geblieben war. Der Baum war sehr alt und am Nachmittag kletterten die älteren Kinder immer darin herum. Robert war noch zu klein, um dort hinauf zu klettern, sagte seine Mutter. Immerhin war er erst fünf Jahre alt. Seine Hände erreichten kaum den ersten Ast. Wie also sollte er nun dort hinauf kommen?
//Vielleicht bin ich ja ein wenig gewachsen? Dann komme ich bestimmt heran.// Der kleine Junge versuchte sein Glück und konnte tatsächlich den dicken Ast erreichen. Es bereitete ihm jedoch viel Mühe, sich hinaufzuziehen. Eine ältere Dame lief inzwischen auf ihn zu und fragte, ob sie ihm helfen könne. „Ja, gern, kannst du mich auf den Ast setzten?“, fragte Robert höflich, wie man es ihm beigebracht hatte. Er lernte schnell und viel und hatte gute Manieren. Die Dame hob ihn hoch und sobald der Junge oben war, verabschiedete sie sich. Von hier an würde es einfacher gehen, das wusste Robert, denn hier lagen die Äste dicht zusammen. Doch bis er den Ball erreichen könnte, musste er noch ein ganzes Stück höher kommen.
Umsichtig zog er sich etwas weiter nach oben, streckte seine Hand aus und sah, dass er sein Spielzeug nun fast berühren konnte. Wenn er sich nur ein bisschen weiter nach vorne lehnen würde...
In diesem Moment rief jemand seinen Namen, es war Roberts Vater Daniel, welcher die gefährliche Aktion seines Sohnes gerade bemerkt hatte und auf der anderen Straßenseite stand. Roberts Kopf zuckte hoch, damit er seinen Vater sehen konnte, immerhin hatte dieser ja gerufen. Doch so verlor er den Halt, ruderte kurz mit den Armen und schrie, als er abstürzte. Er hatte großes Glück, dass er in seinem Fall keinen der Äste streifte. Sobald er auf dem Boden gelandet war, rappelte er sich auf. Ihm war schwindelig doch er spürte keinen Schmerz, nur erschrocken war er sehr. Gerade noch rechtzeitig drehte Robert sich wieder zu seinem Vater um – rechtzeitig um zu sehen, wie der Ältere ohne sich umzusehen loslief, um seinem Sohn zu helfen und von einem Auto erfasst wurde, welches viel zu schnell die Straße entlang raste. Das Geräusch von Metall, das auf Fleisch traf, würde der kleine Robert nie wieder vergessen. Ebensowenig wie das Bild seines Vaters, welcher wie eine lebensgroße Puppe durch die Luft flog und am Ende auf dem Straßenpflaster aufkam. Der Junge bemerkte nicht einmal, dass er schrie.
Und dann ging alles so schnell, der Mann, welcher in dem Auto gesessen hatte, war von der Straße abgekommen und in einen Baum gefahren, passiert war ihm jedoch weniger als dem Wagen. Benommen stieg er aus und lief zu Daniel, oder dem, was von Roberts Vater übrig war. Immer mehr Menschen liefen auf den toten Mann zu, jemand rief einen Krankenwagen, doch wer kümmerte sich um Robert? Um das Kind, das schreiend und weinend vor Schock und Unverständnis auf der anderen Straßenseite saß und aus einer Wunde am Hinterkopf blutete? Keiner kam zu ihm, erst als sie die Menge zerstreute, um die Rettungskräfte an die Unfallstelle zu lassen, bemerkte einer das Geschrei und lief zu dem kleinen Jungen hinüber.
Man hatte auch Robert ins Krankenhaus gebracht. Lange Zeit danach hatte er noch immer über starke Kopfschmerzen geklagt und jahrelang hatten ihn die schrecklichen Bilder des Unfalls bis in seine Träume verfolgt. Inzwischen war Robert siebzehn Jahre alt, die Kopfschmerzen und die Angst hatten etwas nachgelassen, doch etwas anderes bereitete ihm Tag um Tag Probleme. Er lernte nicht mehr, er hatte schon seit damals nichts mehr gelernt und wenn man es doch schaffte, ihm etwas beizubringen, so dauerte es sehr lange und erforderte mehr Geduld als die meisten Menschen aufbringen konnten. Zudem redete er häufig wirres Zeug, seine Mutter schämte sich für ihn und versteckte ihn so gut sie konnte. Sie machte ihn für den Tod ihres geliebten Mannes verantwortlich und weil dies so eine gute und einfache Lösung für sie war und weil Robert sich ohnehin nicht wehren konnte, machte sie ihn auch gleich für alles andere verantwortlich, das ihr passierte.
Heute, am siebzehnten Geburtstag ihres Sohnes, hatte sie ihm versprochen, dass sie wegfahren würden. Seine Angst vor Autos hatte sie ihm nach Jahren harter Arbeit endlich abgewöhnen können, sodass dem Ausflug nichts mehr im Wege stand. Ihr Ziel war ein Wald, der ein ganzes Stück außerhalb der Stadt lag. Zwei Stunden würde die Autofahrt dauern und schon nach zehn Minuten begann ihr Sohn immer wieder zu fragen, wann sie denn endlich ankommen würden.
Endlich war es so weit und Robert freute sich über das gute Wetter. Gleich zu Anfang, als sie ausgestiegen waren, hatte er ein Eichhörnchen gesehen und damit lag er seiner Mutter nun in den Ohren. Jene wäre sicherlich genervt gewesen, wie sie es immer war, wenn sie nicht beschlossen hatte, dass dies der schönste Tag ihres Lebens werden würde. Denn sie hatte einen Entschluss gefasst, über den sie lange nachgedacht hatte.
„Robbie, Schatz, bleib doch kurz hier, ich hole etwas zu essen“, bat sie ihren Sohn und als sie ihn endlich davon überzeugt hatte, tatsächlich zu warten, lief sie langsam den Weg entlang, bis sie außer Sichtweite war. Erst dann rannte sie zu ihrem Wagen zurück und ließ ihren Sohn stehen. Von dem glücklichen und erleichterten Aufschrei seiner Mutter bekam jener nichts mehr mit. Erst einige Zeit später wurde er unruhig, denn er war noch immer allein. „Mama!“, rief er mit der tiefen Stimme, die so gar nicht zu seinem kindlichen Charakter passen wollte. „Mama wo bist du?“, fragte er in die Stille. Kurzentschlossen machte Robert sich auf die Suche, lief tiefer in den Wald hinein, nicht einmal in die richtige Richtung.
An diesem Nachmittag war auch eine Gruppe Teenager im Wald. Sie hatten sich hier verabredet um den Tag und den Abend auf einem nahegelegenen Grillplatz zu verbringen, welcher sich auf einer großen Lichtung befand. Es war fast fünf Uhr, als Robert diese Gruppe erreichte. „Hast du meine Mama gesehen?“, fragte er einen Jungen, welcher gerade dabei war, mit zwei Gleichaltrigen zu reden. Hätte Robert darauf geachtet, dann wäre ihm sicher aufgefallen, dass sich vereinzelt sogar Leute dieser Gruppe küssten, Mädchen und Jungen bunt gemischt. //Vielleicht hat er meine Mama gesehen, ich will nach Hause, es ist nicht mehr schön hier.//
(Ich hätte gerne einen Mitschreiber, der lange Beiträge schreibt, nicht nur ein paar Sätze, denn so lässt sich die Geschichte viel besser aufbauen. Und falls sich jemand wundert, ich schreibe diese Geschichte bereits in einem anderen Forum und möchte nun mal sehen, wie sie sich entwickelt, wenn ich sie hier schreibe ^^)